Was man wie ausdrückt
Sich eine fremde Sprache anzueignen, ist eine anspruchsvolle Sache. Das gilt auch und gerade für das Deutsche. Zwar nicht mal so sehr in Bezug auf die Vokabeln. Aber warum heißt es zum Beispiel „ein“ Haus? Aber „eine“ Tasse? „Feste Regeln gibt es nicht“, erklärt Sigrid Mahsberg in der Würzburger Kolping-Akademie 15 Männern und Frauen, die aus der Ukraine nach Würzburg geflüchtet sind. Seit dem 13. April nehmen sie einmal in der Woche an einem von der Kolping-Stiftung finanzierten „Deutschtreff“ teil.
Die meisten Teilnehmer möchten einen Integrationskurs des BAMF absolvieren. Doch bis das Bundesamt die Anträge genehmigt hat und der Kurs beginnt, wird es noch etwas dauern. Die Wartezeit wollen die Männer und Frauen nicht ungenutzt verstreichen lassen. Das Angebot, an einem offenen Sprachtreff teilzunehmen, stieß laut Sigrid Mahsberg, Integrationsbeauftragte der Kolping-Akademie, auf riesige Resonanz: „Wir wurden förmlich überrannt.“ Ursprünglich war ein einziger Kurs geplant gewesen: „Doch schon am ersten Tag kamen 130 Interessierte.“ Aktuell finden von Dienstag bis Donnerstag sechs Deutschtreffs statt. Organisiert werden sie vom Sprachenteam der Akademie.
Die blonde Frau in der bunten Bluse, die sich gerade über ihren Block beugt, die Schülerin mit den rotgefärbten Haaren, der Psychologiestudent mit dem Wuschelkopf – sie alle könnten unterschiedlicher kaum sein. Männer und Frauen jeden Alters nehmen am Deutschtreff teil. Die Atmosphäre ist gelöst. Es wird oft gelacht. Und auch, wenn die meisten erst wenige Wörter auf Deutsch sprechen können, ist es doch möglich, einander ein bisschen von sich zu erzählen. Zum Beispiel, was man beruflich macht. „Ich bin Köchin“, berichtet eine Ukrainerin aus der ersten Bankreihe. Ein Reklameexperte befindet sich in der Runde. Und eine Frau, die mit Zügen zu tun hat.
Soeben geht Sigrid Mahsberg auf das einzige diakritische Zeichen im deutschen Alphabet ein: Dem Doppelpunkt über Vokalen. Zwei Punkte über dem „a“ machen aus dem Selbstlaut ein „ä“. Der wiederum kann mit einem anderen Vokal, nämlich dem „u“, kombiniert werden. Ein typisches Beispiel dafür ist das Wort „Häuser“. Tricky wird das Ganze dadurch, dass dieses „äu“ ganz genau so klingt wie jenes „eu“, das sich in „Deutschland“ verbirgt. Im deutschen Alphabet gibt es schließlich eine Besonderheit, die weithin einzigartig ist, erläutert die Dozentin: „Nämlich ein scharfes ‚s‘.“ Im Wort „Fuß“ kommt es vor.
Eineinhalb Stunden lang befassen sich die Teilnehmer mit Einzahl und Mehrzahl, mit Selbst- und Umlauten. Zweimal bietet Sigrid Mahsberg an, eine Pause einzulegen. Doch die meisten aus der Gruppe schütteln den Kopf: Wozu Zeit verschwenden? So geht es weiter. Zwischendurch berichten die Männer und Frauen, wo sie im Augenblick wohnen. Die einen haben eine Unterkunft in Würzburg gefunden. Andere leben in Kürnach, Randersacker, Zell oder Estenfeld. Manche Teilnehmer sprechen gut Englisch. Das erleichtert die Verständigung enorm. Ein junge Frau mit langem, rostrotem Zopf versteht gut Deutsch und dolmetscht zwischendurch auf Ukrainisch.
Nicht selten klingen die Wörter im Deutschen so ähnlich, dass man ganz genau darauf achten muss, wie man sie ausspricht, damit das Gegenüber das, was man ausdrücken möchte, nicht fehldeutet. „Dies hier ist eine Tür“, sagt Sigrid Mahsberg und drückt eine Klinke nach unten. Diese „Tür“ klingt ganz ähnlich wie das „Tier“ - also die Sammelbezeichnung für alles, was da kreucht und fleucht. Ein „ü“ wie in „Tür“ gibt es im ukrainischen Alphabet nicht. Dafür existieren dort Buchstaben, die für deutsche Ohren absolut ungewohnt klingen.
Vielen jener Menschen, die 2015 aus Syrien nach Würzburg geflohen sind und sich in der Kolping-Akademie in die deutsche Sprache einarbeiteten, war das lateinische Alphabet gänzlich fremd. „Nicht wenige ergriffen früh eine Arbeit und waren zum Beispiel in der Landwirtschaft tätig, sie hatten nie lesen und schreiben lernen müssen“, erklärt Sigrid Mahsberg. Das ist nun völlig anders. Unter den Ukrainerinnen und Ukrainern, die bisher in die Akademie kamen, war kein einziger Analphabet. Der Austausch über die gelernten Berufe beim heutigen Deutschtreff zeigt, wie gut ausgebildet die Neuankömmlinge sind. „Ich bin Finanzanalystin“, erzählt eine junge Frau. Eine andere hat in der Ukraine als Hotelmanagerin gearbeitet.
Wer sieht, was gerade in der Ukraine geschieht, den packt das kalte Grausen. Die Bilder sind entsetzlich. Manche schalten schon gar nicht mehr den Fernseher ein. In der Gruppe, die sich zum Deutschtreff versammelt hat, scheint nichts darauf hinzudeuten, was an Grauenvollem hinter den Geflüchteten liegt. Sigrid Mahsberg, die in Trauma-Pädagogik fortgebildet ist, weiß jedoch, dass sie sehr sensibel sein muss. Denn schnell kann etwas kippen.
Um dies zu verhindern, baut sie immer wieder kleine Rituale und Wiederholungen ein. Das stabilisiert psychisch. „Wichtig sind auch viele kleine Erfolgserlebnisse“, sagt die Dozentin. Überhaupt sollen die Teilnehmer im Kurs Schönes erleben. Weshalb nicht immer so viel wie heute gepaukt wird. So stehen auch Exkursionen auf dem Programm. Außerdem Gruppenarbeiten, wo die Teilnehmerinnen und Teilnehmer intensiv miteinander in Kontakt kommen.