Wunden verbinden, Stürze vermeiden
Das Lernen in der Gruppe macht ihnen ebenso viel Spaß wie der praktische Einsatz vor Ort: Die jungen Leute aus dem Kosovo, die im Dezember bei Kolping-Mainfranken eine Pflege-Qualifizierung begonnen haben, sind mit Eifer bei der Sache. Vormittags arbeiten sie als Pflegehelfer in den Einrichtungen der Caritas und der Arche in Würzburg. Nachmittags findet der Unterricht statt.
Kolping-Mainfranken liegt es fern, junge Menschen aus Ländern zu holen, in denen ein ähnlich großer Pflegemangel wie hierzulande herrscht. Im Kosovo ist dies definitiv nicht der Fall. Im Gegenteil: Pflegekräfte finden dort keine Arbeit. So erging es auch den zwischen 24 und 31 Jahre alten Teilnehmenden des neuen Kolping-Pflegeprojektes. Alle haben in ihrem Heimatland ein Pflege-Studium mit Bachelorabschluss durchlaufen. Dennoch kamen sie nirgends unter. Ihr Studium wiederum wird in Deutschland nicht komplett anerkannt, berichtet Sarah Müller, die das Pflegeprojekt leitet. Diese Defizite holen die jungen Leute im Qualifizierungsprojekt von Kolping auf.
Damit die Sprache kein Hinderungsgrund für den Einstieg in die deutsche Altenpflege ist, trainieren die Kosovaren in der Kolping-Akademie den spezifischen Pflegejargon. „In ihrem Heimatland lernten alle bereits Deutsch auf B1-Niveau“, schildert Pflegemanagerin Sarah Müller. Damit kommt man im Alltag klar. Doch wie jeder andere Beruf, hat auch die Pflege eine Fachsprache, die man beherrschen muss, will man als Pflegekraft arbeiten: „Gerade bei der Übergabe zum Schichtwechsel ist das wichtig.“ Die jungen Leute müssen zum Beispiel wissen, dass hinter dem Wort „Hemiparese“ eine Halbseitenlähmung steckt. Und dass, ist von „Insuffizienz“ die Rede, „Funktionsschwäche“ gemeint ist.
Für die Kosovarinnen und Kosovaren ist es spannend, neue Eindrücke zu gewinnen und hinter die Kulissen der Altenpflege in Deutschland zu schauen. Das tun sie mit großer Offenheit und Neugier. Der Einstieg in das Projekt allerdings war pandemiebedingt schwieriger als geplant, sagt Tanja Eisler, Leiterin der Kolping-Akademie: „Durch den Lockdown war es zum Beispiel kaum möglich, Würzburg näher kennen zu lernen.“ Wie gerne wären die jungen Leute mal in eine Kneipe gegangen. Oder in ein Café. Gut, dass jetzt wieder einiges davon möglich ist.
Im Kurs der Kolping-Akademie werden die Kosovaren genau instruiert, wie man in Deutschland mit Heimbewohnern umgeht. „Im Moment geht es um das Thema ‚Prophylaxe‘“, berichtet Sarah Müller. Die Teilnehmenden lernen zum Beispiel, Stürze oder Wundliegen zu vermeiden. Wie man das macht, ist in sogenannten Expertenstandards festgeschrieben. Diese Standards helfen, zu erkennen, wo Risikofaktoren lauern.
Pflege dreht sich hierzulande jedoch nicht nur um das körperliche Wohlbefinden. Junge Leute lernen, so zu pflegen, dass sich Menschen rundum wohlfühlen. Damit das gelingt, sind Sensibilität und kommunikative Fähigkeiten wichtig. Im Pflegekurs der Kolping-Akademie lernen die Teilnehmenden, auch in schwierigen Situationen gut zu kommunizieren, schildert Sarah Müller: „Zum Beispiel, wenn sich die Lebensumstände eines Bewohners oder Patienten durch eine Erkrankung verändert.“ Auch ist es wichtig, mit Angehörigen gut reden zu können – und zwar gerade dann, wenn es schwierig wird.
„Wir möchten künftig nicht nur junge Leute aus dem Ausland holen, sondern auch Menschen, die bereits in unserem Land sind und Pflegeerfahrung haben, mit unserem Projekt qualifizieren“, so die Akademieleiterin Tanja Eisler. Seit kurzem verfügt die Kolping-Akademie hierfür auch über die Zulassung der Weiterbildung zur Durchführung über einen Bildungsgutschein der Arbeitsagentur.
„Die Verzahnung von Fach- und Deutschunterricht, mit den täglichen Erfahrungen aus der Tätigkeit in den Einrichtungen, bis hin zu einer sozialpädagogischen Betreuung als Integrationsunterstützung, ist so einzigartig“, beschreibt Sarah Müller.
Aktuell zeichnet sich ab, dass es tatsächlich gelingen wird, alle beim Anerkennungsverfahren vor der Regierung festgestellten Pflegedefizite in einem Jahr aufzufangen. Das Projekt der Kolping-Akademie kann damit einen Beitrag dazu leisten, dass dem immer größeren Mangel an Pflegekräften in der Region zumindest ein Stück weit abgeholfen wird.
Woher der Pflegemangel rührt, darüber kann man konträrer Meinung sein. Es lohnt sicher auch, sich näher mit dieser Frage zu befassen. Gleichzeitig braucht es konkrete Ideen, wie klaffende Versorgungslücken geschlossen werden können. Kolping-Mainfranken hat eine solche Idee realisiert und möchte seinen Beitrag hierzu leisten. Hierzu soll das Projekt weiter ausgebaut und in Deutschland verankert werden. Es werden daher weitere Kooperationspartner / Einrichtungen gesucht, welche kooperieren wollen. „Gute Kranken- oder Altenpflegekräfte aus Ländern zu holen, welche im Heimatland keine Perspektive haben, diese hier in Deutschland erfolgreich zu integrieren und eine Zukunft zu ermöglichen, ist das große Ziel“, so Tanja Eisler. Es wird daher in einer zweiten Staffel des Pflegeprojektes nicht nur darum gehen, junge Kosovaren für die Altenpflege auszubilden. Der Pflegenotstand ist groß und daher werden weitere Länder geprüft und aufgenommen, sowie das Spektrum auf den gesamten Pflegebereich erweitert. Pflegeanbieter, die kooperieren und junge Menschen aus dem Ausland ausbilden lassen wollen, können sich für die zweite Staffel des Pflegeprojekts an die Kolping-Akademie wenden.